Interview mit Alfred Wieder einem Urgestein des VC Marktes
Seit einigen Jahren ist Alfred Wieder nicht mehr in diesem Markt tätig, aber sein profundes Wissen ist natürlich immer gefragt, so auch bei uns.
Interviewer: Herr Wieder, Sie gelten als Urgestein des Venture Capital Marktes. Wie hat sich dieser Markt in den letzten Jahrzehnten verändert?
Alfred Wieder: Der Wandel ist wirklich bemerkenswert. Als ich in den 1980er Jahren anfing, war Venture Capital ein relativ kleiner, exklusiver Kreis. Wir sprachen damals von einer Handvoll Investoren, die hauptsächlich in den USA und ein wenig in Europa aktiv waren. Heute ist der Markt global, hochdynamisch und vielschichtig.
Eine der größten Veränderungen ist die Demokratisierung des Zugangs zu Kapital. Früher brauchte man persönliche Kontakte und ein etabliertes Netzwerk, um überhaupt mit Investoren in Kontakt zu kommen. Heute gibt es Crowdfunding-Plattformen, Angel-Investoren-Netzwerke und sogar Apps, die Start-ups mit potenziellen Investoren zusammenbringen.
Auch die Geschwindigkeit hat sich dramatisch erhöht. In den 80ern und 90ern war es nicht ungewöhnlich, dass Finanzierungsrunden mehrere Monate oder sogar ein Jahr dauerten. Heute sehen wir oft, dass Runden in wenigen Wochen abgeschlossen werden, besonders bei Hot Deals.
Interviewer: Wie hat sich das auf die Bewertungen und die Investitionsstrategien ausgewirkt?
Alfred Wieder: Das ist ein interessanter Punkt. Die erhöhte Verfügbarkeit von Kapital hat definitiv zu einer Inflation der Bewertungen geführt, besonders im Tech-Sektor. Wir sehen heute Pre-Revenue-Start-ups mit Bewertungen, die vor 20 Jahren undenkbar gewesen wären.
Das hat auch die Investitionsstrategien verändert. Früher lag der Fokus stark auf der Profitabilität und einem klaren Weg zum Break-even. Heute sehen wir viel mehr Investitionen in Wachstum und Marktdominanz, oft auf Kosten kurzfristiger Profitabilität. Das „Blitzscaling“-Modell, das von Reid Hoffman popularisiert wurde, ist ein gutes Beispiel dafür.
Gleichzeitig hat sich auch die Rolle des VCs gewandelt. Früher waren wir hauptsächlich Kapitalgeber. Heute erwarten Start-ups von ihren Investoren oft ein ganzes Ökosystem an Unterstützung – von Mentoring über Netzwerkzugang bis hin zu operativer Hilfe.
Interviewer: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für Start-ups bei der Suche nach Venture Capital?
Alfred Wieder: Die Herausforderungen haben sich verschoben. Einerseits ist es leichter geworden, an Seed-Kapital zu kommen. Andererseits ist der Wettbewerb um Aufmerksamkeit und größere Finanzierungsrunden intensiver denn je.
Eine große Herausforderung ist die „Tal des Todes“-Phase zwischen Seed und Series A. Viele Start-ups schaffen es, eine erste Finanzierung zu bekommen, aber dann nicht, die Meilensteine zu erreichen, die für die nächste Runde nötig sind.
Ein weiteres Problem ist die oft übertriebene Fokussierung auf Hyperwachstum. Viele Gründer fühlen sich unter Druck, unrealistische Wachstumszahlen zu präsentieren, um Investoren zu beeindrucken. Das kann zu nicht nachhaltigen Geschäftspraktiken führen.
Auch die Erwartungshaltung vieler Investoren hat sich verändert. Es reicht nicht mehr, nur eine gute Idee zu haben. Start-ups müssen heute oft schon sehr früh Traktion, Nutzerzahlen und ein klares Verständnis ihrer Unit Economics vorweisen können.
Interviewer: Welchen Rat würden Sie jungen Gründern geben, die auf der Suche nach Venture Capital sind?
Alfred Wieder: Mein erster Rat wäre: Versteht, was Venture Capital wirklich bedeutet. Es ist nicht für jedes Start-up der richtige Weg. VC-Finanzierung bedeutet schnelles Wachstum, hohe Erwartungen und oft eine Verwässerung der eigenen Anteile. Seid euch sicher, dass das zu eurem Geschäftsmodell und euren persönlichen Zielen passt.
Zweitens: Baut Beziehungen auf, bevor ihr sie braucht. Netzwerken ist entscheidend. Geht zu Branchenevents, nehmt an Pitch-Wettbewerben teil, sucht euch Mentoren. Die besten Deals kommen oft über warme Einführungen.
Drittens: Seid absolut klar über eure Zahlen und euer Geschäftsmodell. Investoren werden tief bohren. Ihr müsst jede Annahme rechtfertigen können und ein tiefes Verständnis eures Marktes haben.
Viertens: Seid selektiv bei der Auswahl eurer Investoren. Gutes Geld kommt mit gutem Rat. Sucht Investoren, die Erfahrung in eurer Branche haben und deren Werte zu euch passen. Ein guter Investor kann ein Game-Changer sein, ein schlechter kann euer Unternehmen ruinieren.
Schließlich: Seid resilient. Fundraising ist hart und voller Rückschläge. Ihr werdet viele Absagen bekommen. Lernt daraus, passt euch an, aber gebt nicht auf, wenn ihr an eure Idee glaubt.
Interviewer: Wie sehen Sie die Zukunft des Venture Capital Marktes, insbesondere in Bezug auf neue Technologien wie KI oder Blockchain?
Alfred Wieder: Die Zukunft ist aufregend und herausfordernd zugleich. Technologien wie KI, Blockchain, Quantencomputing und Biotechnologie haben das Potenzial, ganze Industrien umzuwälzen. Das bietet enorme Chancen für Start-ups und Investoren.
Ich erwarte, dass wir eine zunehmende Spezialisierung von VC-Fonds sehen werden. Die Technologien werden so komplex, dass generelle Tech-Investoren es schwer haben werden, die wirklich bahnbrechenden Innovationen zu identifizieren. Wir werden mehr Fonds sehen, die sich auf spezifische Bereiche wie AI in Healthcare oder Blockchain in Fintech konzentrieren.
Gleichzeitig sehe ich eine wachsende Bedeutung von Corporate Venture Capital. Große Unternehmen erkennen zunehmend, dass sie innovativ bleiben müssen, und investieren daher verstärkt in Start-ups.
Ein weiterer Trend, den ich sehe, ist die Globalisierung des VC-Marktes. Wir sehen immer mehr bedeutende Deals aus Regionen wie Südostasien, Afrika oder Lateinamerika. Diese Märkte bieten oft interessante Möglichkeiten für Investoren, die bereit sind, über den Tellerrand zu schauen.
Was die Technologien selbst angeht, so bin ich besonders gespannt auf die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Ich glaube, wir stehen hier erst am Anfang einer Revolution, die fast jeden Aspekt unseres Lebens und Arbeitens verändern wird.
Allerdings sehe ich auch Herausforderungen. Die zunehmende Regulierung, besonders im Bereich Datenschutz und KI-Ethik, wird Investoren und Start-ups vor neue Hürden stellen. Auch die geopolitischen Spannungen und mögliche Fragmentierung der globalen Technologiemärkte könnten das Investitionsklima beeinflussen.
Insgesamt bin ich aber optimistisch. Die Innovationskraft und der Unternehmergeist, den ich täglich in der Start-up-Szene sehe, lassen mich zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Interviewer: Vielen Dank für diese umfassenden Einblicke, Herr Wieder. Sie geben uns wirklich einen tiefen Einblick in die Welt des Venture Capitals und seine Zukunftsperspektiven.
Alfred Wieder: Es war mir ein Vergnügen. Die Start-up- und VC-Welt bleibt faszinierend, auch wenn ich mich offiziell im Ruhestand befinde. Ich bin gespannt, was die nächste Generation von Gründern und Investoren auf die Beine stellen wird.